© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/99 17. Dezember 1999


Helsinki: Nach dem Gipfel wird die EU größer als es vielen lieb ist
"Meilenstein der Geschichte"
Alexander Schmidt

Nach Abschluß des EU-Gipfels in Helsinki stand fest: Der europäische Integrationsprozeß hat einen großen Schub bekommen, der für viele über das angestrebte Ziel eines vereinten Europas hinausgeht. Besonders durch die Entscheidung, der Türkei den EU-Kandidatenstatus zu verleihen, ist es zu einer scharfen Kontroverse zwischen Opposition und Regierung in Deutschland gekommen. Der deutsche EU-Kommissar Günter Verheugen erwartet, daß die Türkei in weniger als 20 Jahren zum Kreis der europäischen Länder gehört. Wie viele andere Politiker aus allen Parteien machte auch er die Frage der Integration von der Menschenrechtslage in der Türkei abhängig.

CDU-Chef Wolfgang Schäuble dagegen äußerte auf dem kleinen CDU-Parteitag in Berlin die Sorge, "daß die Entscheidung die Akzeptanz der europäischen Einigung so wenig befördere wie die Integration türkischer Mitbürger in Deutschland". Dagegen sei die Erweiterung der EU durch die osteuropäischen Nachbarn die beste Voraussetzung für das kommende Jahrhundert. Ebenso sprach sich der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP im Bundestag, Jürgen Koppelin, gegen eine Aufnahme der Türkei in die EU aus. Schärfer kritisierten der Landesgruppenvorsitzende der CSU im Bundestag, Michael Glos, und der Sprecher der Christdemokraten im Europaparlament (EVP), Bernd Posselt, die Zuerkennung des Kandidatenstatus. Glos regte an, eine grundsätzliche Diskussion über die geographischen Grenzen der EU zu machen und dabei besonders die kulturelle und historische Dimension zu betrachten. Posselt bezeichnete die Zuerkennung des EU-Kandidatenstatus als "große Heuchelei" und Fehler. In Gesprächen mit den Verantwortlichen hinter verschlossenen Türen sei nämlich stets zu hören, daß von einer EU-Mitgligliedschaft nicht die Rede sein könne. Vielmehr müsse der Türkei rasch ein Status unterhalb der Mitgliedschaft gegeben werden, um das Land eng an die EU heranzuführen. Begrüßt wurde die Entscheidung besonders von der amerikanischen Regierung, die schon seit jeher ein enges Verhältnis mit dem militärischen Brückenkopf zur arabischen Welt hat. Präsident Clinton sagte auf dem Gipfel, daß die USA die Türkei seit langem in ihrem Bemühen, Mitglied der EU zu werden, unterstützt hätten. Nicht nur die EU-Mitglieder, sondern auch die USA hätten von der Türkei als Mitgliedsland auf Dauer Vorteile. Auf der einen Seite betonte der türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit in Ankara, daß es kein Europa ohne die Türkei gebe, und keine Türkei ohne Europa. Gleichzeitig setzt er aber nach, daß er Rechtsnormen des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag nicht anerkennen wolle, falls die Staaten bis zum Jahr 2004 die Streitigkeiten in der Ägäis um Zypern nicht lösen könnten.

In der Frage der Osterweiterung, so der EU-Kommissionpräsident Romano Prodi, habe man einen "historischen Meilenstein" hinter sich gebracht.

Nicht zufrieden zeigte sich der italienische Sozialdemokrat damit, daß es in Helsinki nicht zu gesamteuropäischen Steuerharmonisierugen gekommen sei. Das ist aber gerade ein Erfolg für Vertreter eines föderalen Europas, in dem möglichst viele Probleme im Wettbewerb eine Lösung finden sollen.

Offiziell stehen jetzt 13 Nationen als Anwärter auf der Liste zur Mitgliedschaft in der EU. Von Februar des kommenden Jahres an werden die Länder Rumänien, Bulgarien, Litauen, Lettland, die Slowakei und Malta am Verhandlungstisch sitzen. Die Ukraine wurde von der Europäischen Union zu einer weiteren Annäherung aufgefordert, ohne dabei eine feste Zusage zur Mitgliedschaft zu erhalten.

Mit Reformen der europäischen Institutionen und Prozessen der Entscheidungsfindung soll die bestehende Europäische Gemeinschaft bis zum Jahr 2003 in der Lage sein, Polen, Ungarn, Tschechien, Estland, Slowenien und Zypern aufzunehmen. "Nach der Ratifizierung sollte die Union in der Lage sein, ab Ende 2000 neue Mitgliedstaaten aufzunehmen" heißt es im Abschlußdokument von Helsinki.

Auf dem Gipfeltreffen wurde zu diesem Thema ein Papier verabschiedet, das die Strategie zur Partnerschaft mit der Union verfolgt. Solche Abkommen bestehen bereits seit März 1998, deren Umsetzung nach Meinung der EU-Beamten jedoch zu langsam vorankommt.

Nicht zuletzt angetrieben durch den Krieg im Kosovo einigten sich die Politiker auf dem Gipfel auf ein europäisches Sicherheitskonzept, mit dem es möglich wird, auch ohne die Nato – und damit verbunden den USA – militärische Operationen durchzuführen. Ohne den Versuch, eine europäische Armee schaffen zu wollen, müssen die Mitgliedstaaten in einer freiwilligen Zusammenarbeit bis zum Jahr 2003 dazu in der Lage sein, "innerhalb von 60 Tagen 50.000 bis 60.000 Personen zu verlegen und für die Durchhaltefähigkeit dieser Kräfte von einem Jahr zu sorgen. Ziel ist somit eine Eingreiftruppe, die ohne die Beteiligung außereuropäischer Streitkräfte Maßnahmen treffen kann, die Frieden sowohl erzwingen als auch erhalten können. Verbunden damit wird ein "Mechanismus zur Krisenbewältigung auf nichtmilitärischem Weg geplant."

Finnland gibt die halbjährliche EU-Ratspräsidentschaft am 31. Dezember an Portugal weiter. Der nächste reguläre EU-Gipfel findet am 19. und 20. Juni in Porto statt.


 
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