© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/99 17. Dezember 1999


Holzmann-Konzern: Die "Rettungsaktion" von Bundeskanzler Gerhard Schröder
Die kleinen Leute müssen bezahlen
Gerda Schmidt

Noch vor drei Wochen sahen viele das Ende der rot-grünen Koalitionsregierung nahen. Insbesondere Kanzler Schröder konnte nach Meinungsumfragen nicht mehr auf breite Zustimmung hoffen. Dann kam die Holzmann-Pleite. Der Konzern war zahlungsunfähig, 2,4 Milliarden Mark fehlten in der Kasse. Kurz vor dem Weihnachtsfest waren 17.000 Arbeitsplätze gefährdet. Zudem konnte niemand überschauen, welche Betriebe durch die Megapleite noch in Mitleidenschaft gezogen werden könnten.

Die Banken, insbesondere die Deutsche Bank, wollten Holzmann anscheinend nicht helfen. Jahrelanges Mißmanagement bei dem Baukonzern, vielleicht sogar mit krimineller Energie gefälschte Bilanzen, hätten in die Misere geführt, hörte man aus Bankerkreisen. Deshalb scheiterten die Rettungsverhandlungen zwischen den Banken und dem Konzern in der Nacht zum 23. November. Am nächsten Tag konnte der Holzmann-Vorstand nur noch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragen. Das endgültige Aus für den Konzern schien gekommen. Die Aktie rutschte in den Keller. Die Holzmann-Arbeiter gaben allein den Banken die Schuld an der Pleite, diese hätten den Konzern, dem sie Milliarden-Kredite gaben, besser überwachen müssen. Daß dann doch noch alles anders kam, hätte kaum ener der Arbeiter gedacht. In dieser hoffnungslosen Situation präsentierte sich der Kanzler medienwirksam als Retter in höchster Not. Schon in der Nacht zum 24. November konnten die Holzmänner wieder jubeln, der Konzern war gerettet. Plötzlich standen 4,3 Milliarden Mark für die Sanierung zur Verfügung, die größtenteils von den zuvor so zahlungsunwilligen Banken bereitgestellt wurden. 150 Millionen Mark brachte der Kanzler als Kredit der Wiederaufbaubank mit und packte noch eine Bundesbürgschaft von 100 Millionen obendrauf.

Es waren ergreifende Szenen, die die Deutschen am Bildschirm verfolgen konnten. Die Gewerkschafter stimmten die Nationalhymne an, die Arbeiter riefen "Gerhard, Gerhard". Man hatte den Eindruck, daß der bislang glücklose Kanzler zum ersten Mal in seiner Amtsperiode einen durchschlagenden Erfolg verbuchen konnte. Deshalb fragten sich einige nachdenkliche Banker, wer hier wohl wen saniert hat: Schröder Holzmann oder Holzmann Schröder?

Der Ansehensverlust des Kanzlers wurde gebremst

Tatsächlich spricht einiges dafür, daß die großartig inszenierte Rettung nur eine klug eingefädelte Werbekampagne war, um den rasanten Ansehensverlust des Kanzlers zu bremsen. Schröder hat in gleicher Weise schon oft sein Image aufpoliert: 1990 mischte er bei der Rettung des Conti-Konzerns mit, seine Kanzlerkandidatur sicherte er sich durch einen Eingriff bei Preussag, auch die Dasa versuchte er mit Hilfe der niedersächsischen Landesbank zu retten. Zur langfristigen Gesundung der Unternehmen führten die Schröderschen Eingriffe bislang nie. Deshalb dürfte die Kanzlerintervention auch bei Holzmann kaum eine dauerhafte Lösung bewirken.

Die Ursachen der Krise bei Holzmann sind weder allein beim jahrelangen schlechten Management noch bei einer zu hohen Bewertung der konzerneigenen Grundstücke oder mangelhaftem Controlling durch die finanzierenden Banken zu suchen. Eher dürfte die allgemeine Rezession der deutschen Bauwirtschaft als Ursache in Frage kommen. Ein spekulativ eingeplanter hoher Immobilienbedarf und damit verbundene immense Renditeerwartungen ließen sich aufgrund des allgemeinen Rückganges der Konjunktur in Deutschland nicht realisieren. Die Immobilienkrise war da, mit Tausenden leerstehenden Wohn- und Gewerbeeinheiten in nahezu allen Regionen Deutschlands. Trotzdem setzten die beteiligten Interessengruppen, insbesondere die Banken, alles daran, die wahre Situation auf dem Immobilienmarkt möglichst lange zu vertuschen. Galt es doch, potentielle Kunden möglichst lange bei der Stange zu halten.

Die erste große Pleite legte Jürgen Schneider hin. Kleinere Immobiliengesellschaften und Fonds folgten und wurden meist ohne viel Aufhebens von den Banken übernommen. Schon lange kriselte es auch bei Holzmann: Zu hohe Beschäftigungszahlen, zu geringe Produktivität und ein weitverzweigtes Engagement in Randaktivitäten behinderten den Konzern in seiner Rolle als global player. Die Ansicht, daß diese Entwicklung einem untätigen und unfähigen Management zuzuschreiben wäre, wird von der jüngsten Konzerngeschichte eindeutig widerlegt. Holzmann wurde bereits seit 1998 grundlegend umstrukturiert. Das bis dahin deutsche Unternehmen mit vielen Auslandsbeteiligungen wurde ein deutsch-amerikanisches Unternehmen. Die US-Gesellschaften, so die 1979 übernommene J.A. Jones Construction Companiy (Charlotte/North Carolina) und die Lockwood Greene Engineers, Inc. (Spartanburg/South Carolina), nehmen nun eine Schlüsselposition in dem Unternehmen ein. In den USA erwirtschaftete Holzmann 1998 mehrfache Milliardenrenditen. Das Auslandsgeschäft des Konzerns wird seitdem von der Philipp Holzmann Ltd. (New York) nach amerikanischen Grundsätzen geführt. Nach dem Prinzip hire and fire verloren über Nacht 10.000 Beschäftigte in Thailand ihre Arbeitsplätze, weil sich die Erwartungen des Konzerns in den dortigen Bauboom nicht erfüllt hatten.

Auch in Europa, wo der Konzern außer in Deutschland insbesondere in Großbritannien, Frankreich, Spanien, den Niederlanden und Österreich tätig ist, betreibt die amerikanische Holding seit langem eine Umstrukturierung nach amerikanischem Vorbild. Nur die deutschen Aktivitäten werden noch von der Zentrale in Frankfurt/M. gesteuert. Die hohen Verluste, die der Konzern in Deutschland seit Beginn der neunziger Jahre einfuhr, führten bereits 1998 zu einer existenzbedrohenden Krise. Durch Verkauf zahlreicher Gesellschaften, eine Bar-Kapitalerhöhung von 700 Millionen Mark und die Ausgabe einer Wandelanleihe an die Aktionäre konnte die drohende Pleite abgewendet werden. Schon damals mußten die Arbeitnehmer für die Restrukturierung des Konzerns bluten. 5.000 Stellen wurden abgebaut. In Absprache mit den Arbeitnehmervertretern wurden erhebliche Einschnitte im sozialen Netz des Betriebes vorgenommen, zum Beispiel durch Flexibilisierung der Arbeitszeit, Senkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Reduzierung einer Reihe von innerbetrieblichen Sozialleistungen und einer Herabsetzung der Ausbildungsplätze. Die "Konsolidierung" ermöglichte es dem Konzern weiterhin, mit Dumpingpreisen am Baumarkt auftreten zu können.

Maßgeblich an Unternehmensentscheidungen des Konzerns beteiligt waren immer die Banken, an erster Stelle die Deutsche Bank, denn sie beeinflußt die Besetzung der Vorstandsetagen der mit ihr verflochtenen Konzerne. Aufgrund dieser Strukturen ist die zunächst abweisende Haltung der Deutschen Banken gegenüber Holzmann nicht recht glaubhaft. Auch die Aussage von IG-Bau Chef Klaus Wiesenhügel, Schröder habe "mit seiner Intervention einen sozialen Konsens erreicht, der ein Zeichen setzt, daß der Amerikanismus nicht so schnell um sich greift", vermag angesichts der beschriebenen Amerikanisierung des Konzerns nicht recht zu überzeugen.

Personelle Verflechtungen bestimmen das Verhältnis

Vielmehr verdichet sich immer mehr der Eindruck, daß die Rettungsaktion schon beschlossene Sachte war, bevor der Kanzler erstmals die Bühne betrat. Zu eng sind die personellen Verflechtungen zwischen Banken und dem Baukonzern, um den ergebnislosen Abbruch der Verhandlungen sowie das abrupte Herumreißen des Ruders durch Schröder realistisch erscheinen zu lassen. So ist Herr André Leysen sowohl im Beraterkreis der Deutschen Bank als auch im Verwaltungsrat der belgischen Agfa-Gevaert Gruppe, die 30,4 Prozent der Holzmann-Aktien hält, und im Holzmann-Aufsichtsrat zu finden. Holzmann-Vorstand Rainer Klee sitzt auch im Aufsichtsrat des AGIV-Konzerns, der eine starke Beteiligung der BHF Bank (49 Prozent) aufweist. Direkt beteiligt ist die Deusche Bank bei Holzmann zur Zeit mit 15,1 Prozent. Vorsitzender des Holzmann-Aufsichtrates ist Carl Ludwig von Boehm-Bezing, er ist auch Vorstandsmitglied der Deutschen Bank und sitzt im Aufsichtsrat des RWE-Konzerns, zu dem auch die Hochtief AG gehört. Diese hielt bis 1998 30,4 Prozent des Holzmann-Konzerns. Sie verkaufte ihren Anteil an den Gevaert-Konzern, nachdem eine Fusion mit Holzmann scheiterte. Es wurde seinerzeit von einer feindlichen Übernahme durch Hochtief gesprochen, die durch Intervention der deutschen Kartellbehörden und der EU-Kommission beendet wurde.

Es ist weder zu erwarten, daß der Schröder-Eingriff jemandem unterhalb der Managementetagen Vorteile bringen wird, noch daß die Banken die Umstrukturierung selbst bezahlen werden. Zirka 55 Prozent der Aktien des Konzerns befanden sich vor der Krise im Besitz von Kleinaktionären, ein erheblicher Teil in langjährigem Belegschaftsbesitz. Diese werden für den Schröder-Auftritt wahrscheinlich zur Kasse gebeten werden, denn den Jahreshöchstkurs von 294 Euro, den die Aktie 1998 hatte, wird sie in absehbarer Zeit nicht mehr erreichen. Vielleicht sind die Kleinanleger ohnehin nicht mehr im Geschäft, sondern haben die Aktie längst verkauft, um nach Einreichung des Insolvenzantrages noch zu retten, was zu retten war. Es wird erwartet, daß auf der für den 30. Dezember 1999 einberufenen Hauptversammlung über eine Kapitalherabsetzung im Verhältnis 26:1 entschieden wird. Der Wert je Aktie würde dann bei einem Kurs von beispielsweise 38,5 Euro auf 1,48 Euro fallen. Danach soll eine Kapitalerhöhung auf zirka 85 Euro folgen, d.h., jeder Aktionär kann zu seiner fast wertlosen Aktie eine weitere für 85 Euro hinzukaufen. Auf dieser Aktionärsversammlung wird sich zeigen, wie nach Intervention der Banken die Mehrheiten im Konzern verteilt sind. Zwischenzeitlich sah es so aus, daß an den Börsen um die Anteile kräftig gepokert wurde und deshalb der Aktienkurs zeitweilig auf 48 Euro anzog.

Auch die Arbeitnehmer werden sich, wie im Jahr zuvor, kräftig an der Konsolidierung des Konzerns beteiligen müssen. Unter dem Druck der drohenden Pleite sind sie gewillt, auf sechs Prozent ihres Lohnes zu verzichten und eine Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit von 39 auf 43 Stunden hinzunehmen. Trotzdem müssen wiederum zirka 4.000 von den jetzt noch etwa 17.000 Stellen im Inland abgebaut werden.

Die konkurrierenden Unternehmen stehen dem Sanierungskonzept kritisch gegenüber. Sie befürchten einen weiteren Wettbewerbsvorteil für den in der Vergangenheit durch aggressives Lohndumping bekannt gewordenen Konzern. Letztendlich könnte eine Intervention des EU-Wettbewerbskommissars Mario Monti die Sanierung zum Scheitern bringen, zum Beispiel wenn es nicht die erste Sanierung dieser Art wäre oder der Konzern nicht alle Akten auf den Tisch legt. Mit einem solchen Veto rechnet in Wirtschaftskreisen aber niemand mehr.

Das gegen einige Vorstandmitglieder eingeleitete Strafverfahren dürfte ebenfalls im Sande verlaufen, nachdem die mit der Neubewertung beauftragen Prüfungsgesellschaft erklärt hat, die Verluste wären auf eine "stichtagsbezogene Neubewertung der Immobilien" zurückzuführen. Damit kann gegen das Management der Vorwurf der vorsätzlichen Bilanzfälschung nicht mehr erfolgreich geführt werden. Es sieht so aus, daß wieder einmal die kleinen Leute – die Arbeitnehmer, die Kleinaktionäre und die mittelständischen Unternehmen – den Preis für die aggressive Unternehmenspolitik eines global player zahlen müssen. Holzmann dürfte nur der Anfang der Entwicklung sein.


 
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