© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/99 17. Dezember 1999


Deutsche Zwangsarbeiter: Von 1945 bis 1955 wurden Millionen von Landsleuten zur alliierten Handelsware
Ein verdrängtes Kapitel Zeitgeschichte
Heinz Nawratil

Allgemein bekannt ist heute, daß bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen Deportation und Zwangsarbeit als Kriegsverbrechen bzw. Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgt wurden; Bormann, Hans Frank, Göring, Rosenberg, Sauckel und Seyss-Inquart wurden u.a. wegen dieser Delikte zum Tod durch den Strang verurteilt. Kaum bekannt ist dagegen, daß Millionen deutscher Zwangsarbeiter zur gleichen Zeit in Osteuropa, aber auch in Frankreich, unter Bedingungen gehalten wurden, die man als Sklavenarbeit charakterisieren muß.

Wie die "Wissenschaftliche Kommission für deutsche Kriegsgefangenengeschichte" in den sechziger und siebziger Jahren im Auftrag der Bundesregierung ermittelte, haben in der Kriegsgefangenschaft deutsche Soldaten insgesamt 2 Milliarden Arbeitstage ableisten müssen, und zwar ganz überwiegend nach Kriegsende. Besonders im Osten und in Frankreich verzögerte sich die Entlassung der Gefangenen, weil man sie möglichst lange als Sklavenarbeiter ausbeuten wollte. Deutsche und internationale Stellen haben immer wieder gegen diesen schweren Rechtsbruch protestiert, z. B. das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) am 18. November 1947:

Deutsche Kriegsgefangene wurden Zwangsarbeiter

"Nun hat aber die Kriegsgefangenschaft nur einen einzigen Zweck. Den feindlichen Soldaten an der Wideraufnahme der Waffen zu hindern. Ihre Verlängerung rechtfertigt sich also durch kein einziges militärisches Erfordernis, sobald der Krieg in der Tat beendet ist. Daher der vom internationalen Recht geheiligte Grundsatz, die Heimbeförderung jener Kriegsgefangenen, die nicht von der Justiz angefordert werden, so rasch als möglich nach Einstellung der Feindseligkeiten in die Wege zu leiten. ... Die Kriegsgefangenschaft ... scheint derzeit vor allem deshalb aufrecht erhalten zu werden, um dem Bedürfnis der Gewahrsamsmächte nach Arbeitskräften zu entsprechen. ... Angesichts dieser Sachlage hält sich das Internationale Komitee vom Roten Kreuz verpflichtet, mit Nachdruck geltend zu machen, wie sehr die Verlängerung eines solchen Zustandes den allgemeinen Grundsätzen der Achtung der Person und der Menschenrechte widerspricht – Grundsätze, die jene des Roten Kreuzes sind."

Aufgrund der wiederholten Vorwürfe griffen einzelne Gewahrsamsstaaten wie Jugoslawien und die Sowjetunion zu einem Trick und verurteilten massenhaft Kriegsgefangene in Scheinprozessen als Kriegsverbrecher.

Die Genfer Konvention von 1929 über die Behandlung von Kriegsgefangenen verbot es jedem Unterzeichnerstaat, seine Gefangenen der Aufsicht eines anderen Landes zu unterstellen, doch lieferten die Anglo-Amerikaner dessenungeachtet ca. 765.000 Gefangene zur Zwangsarbeit an Frankreich und ca. 76.000 an Belgien, die Niederlande und Luxemburg aus, ferner gemäß Proklamation Nr. 2 des Alliierten Kontrollrats vom September 1945 200.000 an Rußland. Die Sowjetunion ihrerseits überstellte ca. 100.000 Kriegsgefangene an Polen und die CSR.

Von den Staaten, die Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter einsetzten, verfügten die Sowjetunion über 3.060.000, Frankreich über 937.000, Jugoslawien über 194.000, Polen über 70.000, Belgien über 64.000 und die CSR über 25.000 Gefangene. Die 3.097.000 Kriegsgefangenen im US-Gewahrsam wurden zwar zum Teil völkerrechtswidrig behandelt, aber im allgemeinen nicht als Zwangsarbeiter mißbraucht. Am besten ging es noch den deutschen Landsern in England, am schlechtesten denen in Jugoslawien: Von den 194.000 in Titos Gewahrsam starb annähernd die Hälfte.Unmenschlichkeit herrschte aber auch in polnischen, tschechischen und russischen Zwangsarbeitslagern; in der Sowjetunion allein dürften 1.335.000 Gefangene zugrunde gegangen sein. Erst 1955 kehrten die letzten Überlebenden aus Rußland heim.

Die Arbeitskraft der Häftlinge wurde oft bis zur Erschöpfung ausgenützt; z.B. ist einem Bericht des internationalen Rotkreuzdelegierten von seinem CSR-Besuch im August 1946 zu entnehmen: "Das Problem der Freizeitgestaltung gibt es nicht, da es die Gefangenen vorziehen, nach ihrer Arbeit zu schlafen, statt sich mit anderen Dingen zu beschäftigen."

Erschreckend war das Los der Gefangenen auch im Kulturstaat Frankreich. Nach amtlichen französischen Angaben gab es zwar nur 24.178 Tote, demgegenüber dürfte die von nicht offizieller Seite genannte Zahl von 115.000 Toten in französischem Gewahrsam eher den Tatsachen entsprechen. Übergriffe der Zivilbevölkerung und der Wachmannschaften, jahrelange Zwangsarbeit, völkerrechtswidriger Einsatz bei der Minenräumung, vor allem aber Hunger und Überanstrengung erklären die hohen Menschenverluste der Kriegsgefangenen in Frankreich. Nicht wenige versuchten, dem Lagerelend durch Meldung zur Fremdenlegion zu entkommen.

Noch schlechter als den Kriegsgefangenen ging es in Rußland den zivilen Zwangsarbeitern, weil die Lager für Zivilpersonen dort ganz allgemein als Straf- oder Besserungslager geführt wurden. Die ersten Deutschen im Gulag waren die Rußlanddeutschen, die pauschal als Diversanten, Spione und Saboteure verdächtigt und unter unbeschreiblichen Bedingungen nach Sibirien, Kasachstan und ins Uralgebiet verschleppt wurden.

Insgesamt hat man ab 1941 900.000 Rußlanddeutsche deportiert. 300.000 weitere Rußland- und Baltendeutsche, die die Rote Armee bei ihrem Marsch bis zur Elbe eingeholt hatte, wurden später zwangsrepatriiert und teilten dann das Schicksal ihrer Landsleute.

Internierte Deutsche als alliierte Sklaven gehandelt

Man schätzt, daß 350.000, möglicherweise 400.000 Rußlanddeutsche Deportation und Zwangsarbeit nicht überlebt haben. Auf der Konferenz von Jalta (4. bis 11. Februar 1945) erreichte Stalin daüber hinaus die Zustimmung der Westalliierten, Arbeitskräfte aus Deuschland als lebende "Reparationen" nach Rußland zu schaffen. Zwischen Januar und April 1945 konnten die Sowjets in den Vertreibungsgebieten Ostdeutschlands und Osteuropas 500.000 Arbeitssklaven einfangen, überwiegend Frauen, die ihre Kinder zurücklassen und schwerste Männerarbeit verrichten mußten. Von diesem Unglücklichen starben nicht weniger als 45 Prozent.

Zu ergänzen wäre noch, daß auch Balten, Polen, Ungarn und Rumänien massenhaft in den Archipel Gulag verschleppt und nicht anders behandelt wurden.

"Paradoxerweise ist gerade jenes Land, das sich selbst ‚sozialistisch‘ nennt und dessen Regierungsform als ‚Arbeiterrepublik‘ bezeichnet wird, das Zentrum der umfangreichsten und schlimmsten Sklavenhaltung, die heute noch auf der Erde existiert." Diese ernüchternde Feststellung mußte der amerikanische Gewerkschaftsbund (American Federation of Labor) in seinem Manifest vom März 1947 machen.

Nicht durch große Zahlen, sondern durch große Grausamkeiten ist Titos Jugoslawien in die Annalen der Sklavenarbeit eingegangen. Bei Kriegsende war praktisch die gesamte jugoslawiendeutsche Restbevölkerung in Konzentrationslagern interniert, in denen Zwangsarbeit, willkürliche Mißhandlungen und Tötungen den Alltag prägten. Systematisches Erschießen der Arbeitsunfähigen wird aus mehreren Lagern berichtet. Bezeichnend ist auch, daß die Mißhandlung der Häftlinge erst 1947 offiziell verboten wurde. Zu erwähnen sind schließlich die Protestnoten der US-Regierung die Behandlung amerikanischer Staatsbürger jugoslawiendeutscher Abstammung in den Lagern betreffend. Dort ist die Rede davon, daß Sklavenarbeit und Internierung in Konzentrationslagern ohne gerichtliches Verfahren gegen die Menschenrechte und die Gepflogenheiten zivilisierter Völker verstießen.

Auch in der Tschechoslowakei wurde Zwangsarbeit praktiziert, doch spielt sie bei weitem nicht die gleiche Rolle wie in Rußland oder Jugoslawien.

In Polen wurden praktisch alle ethnischen Deutschen (Volksdeutschen) in Lagern interniert, aber auch in den ostdeutschen Vertreibungsgebieten ein großer Teil der Bevölkerung.

Den Völkermord an den Deutschen verdeutlichen

Die Zustände erinnerten an jugoslawische Verhältnisse. Zum Teil wurden Kinder von ihren Müttern getrennt, um die Arbeitskraft der Frauen besser ausbeuten zu können. "Die polnische Regierung betrachtete die von ihren Eltern getrennten deutschen Kinder als Staatseigentum und war bestrebt, sie zu polonisieren", berichtete die "Dokumentation der Vertreibung" des Bundesvertriebenenministeriums. Dieser Tatbestand wird übrigens in der einschlägigen UNO-Entschließung vom 9. Dezember 1948 ausdrücklich als Form des Völkermordes bezeichnet.

Planmäßiges Erschießen der arbeitsunfähigen Alten und Kranken wird auch hier aus verschiedenen Lagern berichtet. Die einträgliche Vermietung der Internierten durch die Lagerleitung an polnische Privatpersonen erscheint demgegenüber nachgerade harmlos, obwohl die Vorgänge bei der Vermietung fatal an antike Sklavenmärkte erinnerten. Immerhin bekamen die Häftlinge eine Chance, auf diese Weise wenigstens vorübergehend dem Hunger und dem Terror der KZ-Schergen zu entgehen. Andererseits waren die billigen Arbeitskräfte für die Polen ein Grund, die Lager möglichst lange aufrechtzuerhalten. Die Pforten der Lagerhölle schlossen sich nur langsam. Die großen Zentralarbeitslager wie Sikawa bei Lodz und Granowo bei Lissa wurden erst 1949/50 aufgelöst, ebenso das berüchtigte Lager Potulica bei Bromberg.

In Rumänien hat es zwar keine Vertreibung gegeben. Allerdings wurden unter kommunistischer Regie 1951 plötzlich ca. 40.000 Banater Schwaben zur Zwangsarbeit in die ostrumänische Baragan-Steppe deportiert "unter Bedingungen, die den Gesetzen der Menschlichkeit und der Menschenwürde Hohn sprechen", wie der Bundestag in seinem Protest vom 17. Oktober 1951 feststellte.

Wer die moderne Form der Sklavenhaltung international ächten will, wird nicht umhin können, sich mit dem Kapitel der deuschen Zwangsarbeiter zwischen 1945 und 1955 auseinanderzusetzen. Auch hier gilt nämlich, was Altbundeskanzler Helmut Schmidt einmal sagte: "Ich möchte, daß die Fakten bekannt und moralisch bewertet werden."

 

Dr. Heinz Nawratil, Rechtsanwalt, ist Autor des Buches "Das Schwarzbuch der Vertreibung" (Universitas, München 1999).


 
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