© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/99 17. Dezember 1999 | ||||
Reichstag: Im Streit um die Widmung gab sich die Monarchie erst nach 22 Jahren dem Volk geschlagen "Wer ist denn der Besitzer des Hauses?" Theo Mittrup Seit der "Aktionskünstler" Hans Haacke sie durch "Der Bevölkerung" zu konterkarieren versucht, steht sie wieder im Blickpunkt des öffentlichen Interesses: Die Widmung über dem Westportal des Reichstagsgebäudes "Dem Deutschen Volke". Die Diskussion um die Inschrift ist nicht neu. Schon vor 100 Jahren stritten sich Parlamentarier, Kaiser und Öffentlichkeit um eine geeignete Widmung für das deutsche Parlamentsgebäude. Nach dem deutsch-französichen Krieg und der Reichseinigung von 1871 war die neugeschaffene oberste Volksvertretung der Deutschen zunächst in Berliner Provisorien untergebracht. Der Bau eines eigenen, repräsentativen Parlamentsgebäudes war somit dringend erforderlich. Bismarck wünschte sich den neuen Reichstag lieber "in einer anderen, weniger bevölkerten Stadt als Berlin". Auch Kaiser Wilhelm I. wollte dieses neue, ungeliebte demokratische Machtzentrum nicht in der Nähe des kaiserlichen Schlosses akzeptieren. So wurde das neu zu errichtende Parlamentsgebäude schließlich an den Rand des Tiergartens, unweit des Brandenburger Tores, abgeschoben. Das an dieser Stelle, am damaligen Königsplatz mit der Siegessäule stehende stattliche Palais Raczeyski mußte dem Neubau weichen und wurde abgerissen. Dem ersten erfolglosen Reichstagsbau-Wettbewerb von 1872 folgte 1882 eine weitere Ausschreibung, die Paul Wallot (18411912) gewann. Die Grundsteinlegung für das neue Parlamentsgebäude erfolgte 1884 durch Kaiser Wilhelm I. Mit dem Bauauftrag wurde Wallot allerdings nicht glücklich. Zwar war der Deutsche Reichstag der rechtmäßige Bauherr, dennoch zwangen Wilhelm I. und vor allem sein selbstherrlicher Enkel und Nachfolger Wilhelm II. den Architekten immer wieder zu schmerzhaften Abstrichen und Veränderungen. In dieser Einflußnahme zeigen sich Abneigung und Geringschätzung der aristokratischen Schicht gegenüber dem Parlament und seinem Sitz. So war es nicht verwunderlich, daß Kaiser Wilhelm II. seinem Vertrauten Philipp zu Eulenburg gegenüber auch vom "Reichsaffenhaus" sprach und es als "Gipfel der Geschmacklosigkeit" bezeichnete. Während Wallot äußerlich die Haltung bewahrte, charakterisierte er einem Freund gegenüber Wilhelm II. als "kaiserlichen Gassenbuben", als einen "gewöhnlichen, niederträchtigen Hund, für den auf anderem Gebiet Deutschland die Zeche wird zahlen müssen". Die Idee, das Reichstagsgebäude mit der Widmung "Dem Deutschen Volke" zu versehen, stammt wahrscheinlich von Wallot selbst. Im Jahre 1893, ein Jahr vor seiner Einweihung, veröffentlichten Fachzeitschriften eine Zeichnung des Reichstagsgebäudes mit diesem Weihespruch im Giebel. Am 5. Dezember 1894 weihte Kaiser Wilhelm II. das Reichstagsgebäude mit den Worten ein: "Es bleibt der Bau ein Denkmal der großen Zeit, in welcher als Preis des schwer errungenen Sieges das Reich in neuer Herrlichkeit erstanden ist, eine Mahnung den künftigen Geschlechtern zu unverbrüchlicher Treue in der Pflege dessen, was die Väter mit ihrem Blute erkämpft haben." Verwundert blickten die Zeitgenossen unterdessen auf dem Giebelfeld des Reichstagsgebäudes: Statt einer Inschrift prangte dort eine Leerstelle. Wilhelm II. hatte die Inschrift "Dem Deutschen Volke" verhindert. Statt dessen wollte er über dem Portal lieber eine Mahnung zur Eintracht im Parteienzwist sehen, und schlug die Widmung "Der Deutschen Einigkeit" vor. "Fehlende Widmung der Eintracht nicht dienlich" Im Reichstag gab der Abgeordnete Friedrich Payer am 12. Dezember 1894 zu bedenken, daß das Fehlen der Inschrift der Förderung der gewonnenen Eintracht der Deutschen nicht sonderlich dienlich sei. Kritisch zur geplanten Widmung "Dem Deutschen Volke" äußerte sich der Berliner Lokal-Anzeiger am 11. Dezember 1894: "Nach unserer Meinung würde die Aufschrift Dem Deutschen Volke sehr verwunderlich, naiv, beinahe komisch sein, darum ist es gut, daß sie fortgeblieben ist. Wer ist denn der Besitzer des Reichstagshauses von vornherein? Niemand anders als das deutsche Volk, welches der Bauherr war. Daß der Baumeister dem Bauherrn widmet, ist nicht üblich." Die angebliche Selbstverständlichkeit, über die der Kommentator des Berliner Lokal-Anzeigers spottet, ist jedoch nur eine scheinbare, wie Heinrich Wefing in seinem Buch "Dem deutschen Volke der Bundestag im Reichstagsgebäude" (Bouvier, Bonn 1999) feststellt. Die Widmung "Dem Deutschen Volke" trägt einen beinahe gönnerhaften Zug, der an die wahre Machtverteilung im Wilhelminischen Reich erinnert. In diesem bestimmten der Kaiser und der vom ihm ernannte Reichskanzler die Richtlinien der Politik. Dem demokratisch gewählten Parlament blieben hingegen nur geringe Einflußmöglichkeiten. Die ablehnende Haltung des Kaisers gegenüber der Widmung "Dem Deutschen Volke" ist daher auch eine gegenüber der Demokratisierung des Landes und der Emanzipation des Volkes als politischer Faktor. Die Reichsregierung gab erst einen Monat später, am 10. Januar 1895, eine verlegene Erklärung ab: "Man beschloß, die Entscheidung über die Inschrift-Anbringung auszusetzen. Eine neue Sitzung der Baukommission steht unmittelbar bevor, und dort wird auch die Inschriftenfrage auf der Tagesordnung erscheinen." Im Grunde war jedoch allen klar, daß Kaiser Wilhelm II. seine Entscheidung schon längst getroffen hatte. So wurde der Kaiser zwar am 19. Januar 1895 darüber informiert, daß die Reichstagsbaukommission "heute mit 7 gegen 5 Stimmen (...) die Inschrift Dem Deutschen Volke anzubringen" beschlossen habe. Doch wie so viele Beschlüsse des Reichstages blieb auch dieser folgenlos. Der Deutsche Reichstag konnte nicht einmal über sein eigenes Haus selbst bestimmen. Ganze 22 Jahre blieb der Platz über dem Westportal leer. In diesem Zeitraum nahmen sich deutsche Publizisten immer wieder des Themas an. Die Unzufriedenheit der Öffentlichkeit über diese politische Schwerfälligkeit wurde immer wieder zum Ausdruck gebracht, nicht zuletzt in Anspielungen auf die Parlamentsfeindlichkeit des Kaiser Wilhelms II. Das Berliner Publikum machte bissige Vorschläge Auch an weniger ernstgemeinten Vorschlägen für die Reichstagsinschrift mangelte es nicht. Zu den ersten Varianten gehörte "Dem Deutschen Heere" in Anspielung auf die uniformstrotzende Einweihung des Gebäudes. Das bissig-humorvolle Berliner Publikum leistete seinen Beitrag mit Texten wie "Wasche mit Luft" oder "Quatsch nicht, Krause". Mit den Jahren kamen weitere Vorschläge hinzu, so zum Beispiel "Eintritt nur für Herrschaften" oder "Vor Taschendieben wird gewarnt". Erst im Ersten Weltkrieg bekam die Diskussion eine neue Qualität. Als die Deutschen merkten, daß der Krieg nicht nur ein kurzer Husarenritt wie vom Kaiser suggeriert , sondern ein langer Kampf ums Überleben werden würde, wurde auch die Frage der Inschrift endlich konkreter behandelt. In einem Artikel des Leipziger Tageblatts wurde am 5. August 1915 neuerlich die Inschrift "Dem Deutschen Volke" vorgeschlagen, um das "getäuschte" Deutschland mit dem Monarchen zu versöhnen. Auf Drängen seiner Berater gab Wilhelm II. nun seinen Widerstand gegen die Anbringung der Inschrift auf. Am 27. August 1915 verkündete Reichstagspräsident Kaempf vor dem Plenum, daß die Inschrift angebracht werden könne. Wer glaubte, der Streit sei damit endgültig beigelegt, der sah sich bald getäuscht. Nun folgte eine heftige Debatte um die Frage, welche Schrifttype und welches Material verwendet werden sollten. Es dauerte noch ein ganzes Jahr, ehe die Inschrift am Reichstagsgebäude endlich angebracht wurde. Für den Guß der Bronzebuchstaben wurden zwei in den Freiheitskriegen 1813 erbeutete französische Kanonen eingeschmolzen. Die sichtlich vom Jugendstil beschwingte Schrifttype wurde vom Architekten Peter Behrens eigens entworfen. Die Monumentalbuchstaben von 1916 zieren noch heute das Reichstagsgebäude. Lediglich die Buchstaben "D" von "Deutschen" und "V" von "Volke" mußten beim Wiederaufbau des Reichstages nach dem Zweiten Weltkrieg ersetzt werden. |