© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/99 17. Dezember 1999 | ||||
Franz Uhle-Wettler: Alfred von Tirpitz in seiner Zeit Keine Bedrohung für England Detlef Kühn Wenn ein promovierter Historiker in der Bundeswehr Generalleutnant werden kann, spricht dies für ihn und für die Bundeswehr als Institution. Wenn dieser General dann nach seiner Verabschiedung als Kommandeur des "Nato Defense College" in Rom umfangreiche militärgeschichtliche Werke, darunter eine Biographie des Generals Ludendorff, vorlegt, die von der "Zunft" der Historiker weitgehend ignoriert werden, spricht dies nicht für die professoralen und beamteten Fachkollegen des Autors. Dennoch hat der General a.D. Franz Uhle-Wettler erneut und unverdrossen ein in jeder Beziehung gewichtiges Werk über den Großadmiral Alfred von Tirpitz (18491930) vorgelegt, das einfach totzuschweigen diesmal schwerer fallen dürfte; hat es doch immerhin der Herausgeber des Spiegels, Rudolf Augstein, den Lesern seines Magazins in einer mehrseitigen Besprechung vorgestellt. Jedenfalls liegt jetzt die politische Biographie des Mannes vor, der von 1897 bis 1916 als Staatssekretär, was der Bedeutung eines heutigen Ministers entspricht, das Reichsmarineamt geleitet und in dieser Zeit dem Deutschen Reich eine schlagkräftige Kriegsflotte geschaffen hat. Wegen der außenpolitischen Folgen dieser Flotte gehörte und gehört er noch heute zu den umstrittensten Gestalten seiner Zeit. Seine Kritiker beurteilen ihn dabei durchaus unterschiedlich. Für einige ist er ein bloßer "Militärtechniker", andere bescheinigen ihm dagegen, durchaus in "weltpolitischen" Kategorien gedacht zu haben. Einig sind sich seine vielen Kritiker meist in dem Urteil, die von ihm konzipierte und gegen mannigfache Widerstände auch im eigenen Lande durchgesetzte Flottenpolitik habe England leichtfertig in das Lager von Deutschlands Gegnern getrieben. Die Folge sei der Erste Weltkrieg gewesen, den Deutschland dann zwangsläufig verlieren mußte. Uhle-Wettler unterzieht alle gegen Tirpitz vorgebrachten Argumente einer eingehenden kritischen Würdigung, widerlegt sie häufig oder relativiert sie wenigstens. Er sieht Tirpitz stets "in seiner Zeit" und beurteilt ihn nicht, wie heute üblich, mit dem moralischen Hochmut dessen, der ja nun weiß, wie alles ausgegangen ist. So entstand ein Geschichtsbuch, dessen Inhalt weit über den unmittelbaren Verantwortungsbereich des Großadmirals hinausgeht. Es kann vor allem denen empfohlen werden, die nicht bereit sind, sich mit dem Klischee vom (negativen) deutschen Sonderweg in der Geschichte abzufinden. Sie werden feststellen, daß wie meistens auch eine Bewertung der deutschen Politik im wilhelminischen Reich nach dem Schwarz-Weiß-Schema, wobei den Deutschen grundsätzlich die Farbe Schwarz zuzuteilen ist, nicht weiterführt. Deutschland wie England hatten Interessen, die jeweils für sich betrachtet berechtigt oder wenigstens verständlich waren. Ihr Gegensatz konnte jedenfalls nicht einfach durch Nachgeben Deutschlands gegenüber englischen Wünschen aus der Welt geschafft werden. Viele Anhänger der Theorie von der "westlichen Wertegemeinschaft" schon im 19. Jahrhundert oder noch früher wird es überraschend sein zu lesen, daß England bereits bei der Reichsgründung 1871, als das Deutsche Reich überhaupt noch keine Flotte besaß, die diesen Namen verdiente, emotional in das Lager der Gegner des Reichs überging. Es spürte, daß es sein in vielen Kriegen erobertes Weltreich möglicherweise nicht werde halten können, während ihm gleichzeitig in Deutschland ein bevölkerungmäßig stark wachsender, wirtschaftlich und kulturell gefährlicher Konkurrent erwuchs, den beizeiten niederzukämpfen durchaus im Sinne der traditionellen Gleichgewichtspolitik Englands gegenüber dem Kontinent war. Uhle-Wettler sieht vom militärischen Standpunkt aus keinen sachlichen Grund, warum sich England durch die deutsche Flotte bedroht fühlen sollte, war doch die eigene Flotte immer noch qualitativ und quantitativ wesentlich stärker als die deutsche von den Flotten Frankreichs und Rußlands ganz zu schweigen. Er weist nach, daß dies übrigens auch die englische Führung so sah, wenn sie es auch nicht laut sagte. In jedem Falle war es objektiv unmöglich, daß Deutschland, wie ihm als Absicht unterstellt wurde, England hätte in seiner Existenz bedrohen oder gar die britische Flotte von den Weltmeeren fegen können. Dabei ist es mehr als erstaunlich, daß die Historiker, die die Tirpitzsche Flottenpolitik so herb kritsieren, die zahlenmäßigen Kräfteverhältnisse gar nicht untersuchen,obwohl die entsprechenden Daten aus den einschlägigen Handbüchern der Zeit leicht zu entnehmen sind. Ist das schon ein schwerer handwerklicher Fehler, so hat Uhle-Wettler auch sonst Anlaß, seine Kritik an der deutschen Historikerzunft ins Grundsätzliche zu wenden: "Meist wird eine deutsche Aktion geschildert und, oft zu Recht, kritisiert ( ) Dann folgt die Schilderung der englischen Reaktion und damit endet die Darstellung. Englische Aktivitäten gelten fast stets als Reaktion und als Reaktion auf kritikwürdige deutsche Aktivitäten; sie werden aber selbst nicht mehr hinterfragt". Dieser einseitigen Methode der Geschichtsbetrachtung haben wir wohl auch die These von dem deutschen Sonderweg in der Geschichte zu verdanken! Dabei ist Uhle-Wettler, ebenso wie Tirpitz selbst, weit davon entfernt, die deutsche Außenpolitik vor dem Ersten Weltkrieg unkritisch zu betrachten. Im Gegenteil beide sind überzeugt, daß es mit pragmatisch orientierter politischer Intelligenz möglich gewesen wäre, die Einkreisungspolitik Englands, Frankreichs und Rußlands zu durchkreuzen. Nur: Wenn Fehler gemacht wurden, und das war auch nach Ansicht Uhle-Wettlers reichlich der Fall, stand dahinter nicht, wie meist unterstellt, das Bestreben, für Deutschland die Weltherrschaft zu erringen, sondern "nur" mangelnde intellektuelle Kompetenz insbesondere beim Reichskanzler Bethmann Hollweg, bei den Spitzenbeamten des Auswärtigen Amtes und nicht zuletzt beim Kaiser. Tirpitz selbst sprach von dem "bedenklichen" Moment, das in der "verhängnisvollen Mittelmäßigkeit" der deutschen Politiker gelegen habe: "Wir waren das Schaf im Wolfskleid" (S. 350). Das eigentliche Werk Tirpitz, die Kriegsflotte, beurteilt Uhle-Wettler auch im nachhinein im wesentlichen positiv. Die Flotte sei trotz ihres geringen Einsatzes im Weltkrieg alles andere als nutzlos gewesen, sie habe vielmehr durch ihre bloße Existenz Engländer wie Russen an Operationen gehindert, die zu einem raschen Sieg über Deutschland geführt hätten. Das Buch ist flüssig geschrieben und daher meist gut lesbar. Ausnahmen sind allerdings die umfangreichen englischen Zitate aus Akten und Sekundärliteratur, die Lesern, die der englischen Sprache nicht so mächtig sind, das Lesevergnügen durchaus beeinträchtigen können. Das schmälert allerdings nicht im geringsten das Gesamturteil: Das Werk Uhle-Wettlers ist hervorragend geeignet, die Scheuklappen, die gerade die Deutschen bei der Befassung mit ihrer eigenen Geschichte tragen, zu beseitigen.
Franz Uhle-Wettler: Alfred von Tirpitz in seiner Zeit, Verlag Mittler & Sohn, Hamburg-Berlin-Bonn 1998, 499 Seiten, 78 Mark |