© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/99 17. Dezember 1999


Claus Nordbruch: Der Verfassungsschutz. Organisation, Spitzel, Skandale
Verstoß gegen die Meinungsfreiheit
Hans-Helmuth Knütter

Die Geheimdienst-Literatur wächst und wächst, besonders seit dem Ende der DDR und der Sowjetunion. Diese sozialistischen Systeme waren nicht Staaten, die sich zu ihrem Schutze einen Geheimdienst hielten, sondern vielmehr handelte es sich beim KGB und der Stasi um Geheimdienste, die sich einen Staat hielten.

Aber die Bewältigung darf uns nicht hindern, die Frage zu stellen, wie es denn mit dem Einfluß der Geheimdienste im Westen steht. Autoren wie Peter Ferdinand Koch (Die feindlichen Brüder, 1994), Erich Schmidt-Eenboom (UnderCover. Der BND und die deutschen Journalisten, 1998), Andreas von Bülow (Im Namen des Staates. CIA, BND und die kriminellen Machenschaften der Geheimdienste, 1998), Klaus Eichner/Andreas Dobbert (Headquarters Germany. Die USA-Geheimdienste in Deutschland, 1997) haben kräftig am Bild der sittenreinen westlichen Demokratien gerüttelt. Auch am Anspruch und an der Praxis des Verfassungsschutzes ist bereits fundierte Kritik geübt worden, zuletzt von Christiane Hubo (Verfassungsschutz des Staates durch geistig-politische Auseinandersetzung, 1998) und von Klaus Kunze (Geheimsache Politprozesse, 1998).

Von allen Kritikern aber ist Claus Nordbruch zweifellos der Radikalste. Der Autor legt dar, daß der Verfassungsschutz "eigentlich" die im Grundgesetz niedergelegten Pflichten und Rechte der Staatsbürger schützen soll. Genau das geschieht aber nicht, vielmehr dient er parteipolitischen Interessen einer eigensüchtigen Politikerkaste. Mangels Einblick in die Tätigkeit der Nachrichtendienste sind wir oft nicht zur organisatorischen und fachlichen Analyse imstande. Wohl aber zur Untersuchung der Wirkung dieser Dienste auf die öffentliche Meinung und das geistig-politische Klima. Das gibt diesem Buch seine Berechtigung und Notwendigkeit.

Was soll der Verfassungsschutz eigentlich und was tut er wirklich? Nordbruch zitiert aus dem Verfassungsschutzbericht Hamburg (1996): "Erst wenn Feinde der Freiheit sich als extremistische Bestrebungen bemerkbar machen, die Grundprinzipien und den Kernbestand der Verfassung antasten wollen, treten die Abwehrkräfte des demokratischen Rechtsstaates auf den Plan." Zum Beispiel gegen zahllose ehrenwerte Patrioten, die eine positive Einstellung zum Staat an sich, zu Gesetz und Ordnung, zur deutschen Geschichte, zur Bundeswehr, zur deutschen Tradition haben, nur eben nicht zu den jeweils an der Macht befindlichen politischen Parteien. Aber deren Interessen schützt der Verfassungsschutz gegen unerwünschte Konkurrenz. Diese Behörden neigen dazu, ein ganz weit gefaßtes Extremismus-Verständnis zu vertreten. Die Grenze zwischen Tat und Gesinnung als Kriterium der Zuordnung wird verwischt. Damit schadet der Verfassungsschutz der Verfassung.

Ausführlich geht Nordbruch auf das üble, die politische Kultur vergiftende Spitzelwesen ein. Allerdings handelt es sich entgegen seiner Darstellung nicht ausschließlich um "charakterlose, korrupte Personen". Das gibt es auch, vielleicht ist es sogar die Regel, aber oft handelt es sich auch um Überzeugungstäter, die zum Bespitzeln aller "Rechten" und "Nationalen" bereit sind.

Zu Recht widmet Nordbruch das umfangreichste Kapitel den Verfassungsschutzberichten, die das eigentliche Übel darstellen. Unter Ausnutzung der Obrigkeitshörigkeit, die es trotz des rapiden Verfalls des Staatsvertrauens nach wie vor in Deutschland gibt, erfolgt hier eine amtliche, staatlich sanktionierte Abstempelung, Ausgrenzung und oft Diffamierung von Staatsbürgern. Die "Ausgrenzung", wie die offiziöse Formel in offener Schamlosigkeit lautet, führt zwar nicht in den Gulag oder ins KZ, hat aber oft wirtschaftliche, psychische und politische Schäden zur Folge. So wurde der JUNGEN FREIHEIT die Aufnahme in den Börsenverein des Buchhandels verweigert, weil sie im nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzbericht erwähnt wurde. Dort heißt es, es gebe "tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen". Ein Verdacht ist eine Vermutung, die des Beweises noch bedarf. Der Verfassungsschutz von Nordrhein-Westfalen vermutet also irgend etwas. Aber nicht doch, nicht irgend etwas, sondern "Anhaltspunkte". Es handelt sich zum Beispiel um eine Äußerung (wenn sie gedruckt ist, ist sie "tatsächlich"), in der "Zigeuner" statt "Sinti und Roma" erwähnt werden. Das ist zwar legal und legitim. Aber es könnte eventuell, vielleicht, unter Umständen ("Wehret den Anfängen!") rassistisch sein. Das wären dann verfassungsfeindliche Bestrebungen. Es wird nicht zu Mord, Gewalt, Selbstjustiz aufgerufen. Dann hätte der Verfassungsschutz recht. Es wird eine Meinung geäußert. Das ist durch die Verfassung, die der Verfassungsschutz schützen soll, garantiert. Wer gefährdet hier die Verfassung? Wer verstößt gegen die Meinungsfreiheit? Wer schädigt die Berufsfreiheit? Wer spielt sich als Gesinnungspolizei auf? Wem muß das Handwerk gelegt werden? Dem Verfassungsschutz? Nicht nur.

So wie die Staatssicherheit zum alleinigen Sündenbock gemacht wird, obwohl sie nur "Schild und Schwert" der allmächtigen SED war, so ist der Verfassungsschutz so gut und vor allem so schlecht wie die Politikerkaste, deren Macht der Verfassungsschutz zu schützen hat. Auch die willfährigen Soldschreiber in den Medien sind schuld. Denn sie multiplizieren die Hetze. Das entlastet den Verfassungsschutz nicht. Aber dieser Gesinnungssumpf kann nicht trockengelegt werden, wenn man nur auf den Verfassungsschutz starrt.

Kein Wunder, daß der Rechtsextremismus einerseits von geringer, aber andererseits von besonderer Bedeutung ist. Seine Bedeutung liegt nicht in einer von ihm ausgehenden Gefahr, sondern in seiner Instrumentalisierung zugunsten der Interessen des Establishment. Schließlich sind SPD, Grüne, Gewerkschaften über jede Frage untereinander und in den eigenen Reihen zerstritten. Wenn es aber gegen den Feind von rechts geht, dann ist man sich einig. Also braucht man ihn, auch wenn man nachhelfen muß. Das erklärt auch die zahlreichen agents provocateurs.

Der Mißbrauch des Verfassungsschutzes für innenpolitische Zwecke wird auch an der unterschiedlichen Behandlung der Republikaner und der PDS deutlich. Während erstere insgesamt bespitzelt werden, weil einzelne Mitglieder rechtsextreme Positionen vertreten, wird die PDS nicht insgesamt beobachtet, weil nur Teile linksextreme Positionen verträten. Soviel zur Gleichheit vor dem Verfassungsschutz.

So wertvoll und materialreich die Darstellung Nordbruchs ist, muß doch leider an einem Punkte ein entschiedener Einwand vorgebracht werden: Die meiste kritische Literatur zum Verfassungsschutz kommt von links. Während die Rechten grundsätzlich staats- und gesetzestreu sind, lehnen die Linken den Staat als Zwangssystem ab und bedienen sich staatlicher Institutionen allenfalls zum Zwecke der Umverteilung und Postensicherung. Insbesondere Polizei und Sicherheitsbehörden sind ihnen prinzipiell ein Greuel, wenn sie nicht, wie die Staatssicherheit, der Sicherung linksextremer Herrschaft dienen. Niemand wird deshalb den Verfassungsschutz kritisieren können, ohne auf die Argumente der linken Kritiker einzugehen. Nordbruch tut das auch, allerdings ohne jede kritische Distanz. Zwei Beispiele mögen das belegen: Das Kapitel "Skandale" macht einen negativen Eindruck, weil hier zahlreiche Vorfälle als "Skandale" abqualifiziert werden, obwohl es sich um völlig berechtigte Aktionen handelt, die der Abwehr linksextremistischer Unterwanderung durch landesverräterische Kommunisten dienen. Man sollte nicht im Eifer, dem Verfassungsschutz etwas anzuhängen, über die eigenen Beine stolpern. Wenn linksextremer Terrorismus durch den Verfassungsschutz bekämpft wird, dann tut er ja etwas, was volle Billigung und Unterstützung verdient. Kritisierenswert ist nur das Abweichen von den engeren Aufgaben des Staatsschutzes hin zur Gesinnungskontrolle. Das andere Beispiel kann man nur mit vergnügtem Schmunzeln zur Kenntnis nehmen. In seiner "Danksagung" ist eine Liste von Auskunftgebern versammelt: Der Verfassungsschutz selbst, der linksextreme Publizist Rolf Gössner und die tageszeitung, die "großzügig" ihr Archiv bereitgestellt hat, werden hier neben anderen Prominenten dankbar erwähnt.

Abschließend bleibt die Frage, was zu tun ist, den Einfluß und die verderblichen Wirkungen des Verfassungsschutzes zu verringern. Wie so oft in Deutschland wird eine gut gemeinte Sache schlecht ausgeführt. Der Gedanke, politische Kriminalität wie Landesverrat und Terrorismus vorbeugend zu beobachten, bevor sie durch Polizei und Justiz exekutiv bekämpft wird, ist in der Praxis zur Gesinnungsschnüffelei und Aufspaltung der Bevölkerung in Gut und Böse entartet. Warnend ist Nordbruchs Ausblick auf die Schweiz, einen Staat, der genau wie die Bundesrepublik beansprucht, "freiheitlich" zu sein. Während in Deutschland immerhin durch den Datenschutz eine ziemlich unzulängliche Kontrolle erfolgt, wird in der Schweiz noch geheimer geschnüffelt. Dieses Beispiel lehrt uns, der Gefährdung von Freiheitsrechten in Deutschland entschieden entgegenzutreten. Nordbruch schlägt vor, dem parteipolitischen Mißbrauch der Verfassungsschutzämter dadurch zu steuern, daß sie einen unabhängigen Status wie Rechnungshöfe bekommen. Eine Sicherheitsbehörde unabhängig zu machen, dürfte aber dem Versuch einer Quadratur des Zirkels ähneln.

So scheint Nordbruch dazu zu tendieren, der Kripo die Bekämpfung politischer Vergehen zu übertragen und den Verfassungsschutz als Gesinnungskontrollinstanz abzulehnen. Das liefe auf eine politisch kaum durchsetzbare Abschaffung der Verfassungsschutzämter hinaus. Dabei bleibt unbeachtet, daß letzten Endes nicht der Verfassungsschutz die Ursache des Übels ist, sondern das parteipolitische Establishment. Die Abschaffung nützt gar nichts, wenn eine eigensüchtige Parteienoligarchie weiter so bleibt, wie sie ist. Und da diese in absehbarer Zeit nicht geändert werden kann, kann die vorläufige Lösung nur auf eine Kontrolle des Verfassungsschutzes hinauslaufen. Kritik, Begrenzung seiner Tätigkeit, Abschaffung der Verfassungsschutzberichte und Mißtrauen statt Vertrauen – das ist eine eventuell praktikable Lösung. Das Buch von Nordbruch ist ein Stück streitbare Demokratie, deshalb verdient es weite Verbreitung.

Vor wenigen Monaten schlugen beim Verfassungsschutz wie eine Bombe die Memoiren von Hans-Joachim Tiedge ein. Dieser ehemalige hohe Beamte des Bundesamtes für Verfassungsschutz war 1985 zunächst nach Ost-Berlin, dann nach Moskau geflohen. Obwohl seine jetzt vorgelegten Erinnerungen nur jahrzehntealten Klatsch enthalten, erschienen sie dem Verfassungsschutz so bedrohlich, daß er das Buch zeitweilig beschlagnahmen ließ. Der einzige Erfolg dieser Maßnahme war zusätzliche Propaganda. Deswegen greift man im Falle Nordbruch zur bewährten Maßnahme des Verschweigens. Diesem Versuch sei hier durch die ausdrückliche Empfehlung zur Lektüre entgegengewirkt.

 

Claus Nordbruch: Der Verfassungsschutz. Organisation, Spitzel, Skandale. Hohenrain-Verlag, Tübingen 1999, 396 Seiten, 34,80 Mark


 
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